Fölzstein

Das sind die letzten Regentropfen bis zum Ende des Urlaubes, prognostiziert Christian grinsend und dirigiert die Limousine in den Fließverkehr. Wir stauen aus Wien raus, Urlaub am Hochschwab ist der Plan. Genauer gesagt Wanderurlaub. Kurz vor der Ankunft besorge ich noch das Abendessen der Herrenrunde: Spaghetti mit Fertigsugo. Klischee kann ich.

Wir beziehen das Apartment, die Dame des Hauses berät uns in aller Gastfreundschaft über eine mögliche Wandertour:  Ihr könnt auf die Fölzalm. Eine der beiden Hütten wird bewirtschaftet. Und dann, sie mustert uns, wie gut seid’s denn beinand? Auch wir mustern uns. Unsicher rücken wir raus mit der Sprache: So 30 Kilometer am Tag schaffen wir schon. Eine peinliche Pause entsteht. Ich frage mich, ob wir uns disqualifiziert haben. “Aber im Flachen, oder? Na egal, wenn ihr es schafft, könnt ihr danach noch auf den Fölzstein rauf. Wir würden dort Gämsen und Steilwände sehen, also inneralpines Feeling.

Nun trifft auch Georg ein und macht die Seilschaft komplett. Pläne zur ersten Wanderung schmieden Georg und Christian, ich genieße meine verantwortungslose Rolle dabei. Zur Auswahl stehen eine blaue und eine rote Route. Entscheidende Argumente lassen sich nicht auftreiben, also überlassen wir einer höheren Macht die Auswahl: dem Wetter. Gute Nacht.

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Am Morgen kein Regen, also die rote Route. Wir sind als Gruppe die Niederösterreichischen Voralpen gewohnt, Gipfelkreuze kennen wir sehr genau. Aus der Fernsehsendung Land der Berge. Wir durchsteigen die Klamm, alles recht pomale. Das Tal öffnet sich und gibt den Blick auf einen massiven Felsen frei. Miassma do auffe?, fragt jemand. Na, bestimmt ned!, die Antwort. Vor meinem geistigen Auge lege ich die Marschroute über meinen Ausblick, interpoliere, plausibilisiere und komme zur Erkenntnis: Naajooooo. Des könnt schon sein, dass des der Fölzstein is. Oba mir müssen ja ned unbedingt rauf. Außerdem eh nur a Schnoppa. Niemand lacht.

Der Wanderweg beginnt sich seiner alpinen Umgebung zu besinnen, er wird steiler und felsiger. Wir machen einem entgegen kommenden Quad Platz. Der Fahrer quält sich im Schritttempo nach unten, sein ausgleichender Oberkörper versucht den Schwerpunkt unter den Rädern zu behalten. Am Vortag ist das dem Almwirt der zweiten, heute geschlossenen, Hütte nicht gelungen. Frage nicht.

Wir pausieren, ziehen eine Schicht Regenjacke auf, der Wind is a Hund. Gleichzeitig erreichen uns zwei Pärchen, isses noch weit rauf? Die Antwort geht akustisch im Scheppern der Bronchien seiner Freundin unter. Ungläubige Blicke huschen durch die Gruppe. Das Mädel stapft vorüber i huast eh nur, wenn i steh. Die Gruppe lässt uns konsterniert zurück, der Freund des Mädels murmelt beim Vorbeigehen wenigstens is leicht zum Owetrogn.

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Auf dem Weg hinauf überholen wir die Gruppe nochmal. Fetzenweise hören wir ein Streitgespräch mit, irgendwas mit nur dir zuliebe! Ich kann mir eine zynische Wortmeldung nicht verkneifen. Plötzlich bin ich das Arschloch.

Endlich auf der Alm mit Hütte. Zwei Steirer bitten uns an ihren Tisch. Dass ich ein Shirt mit der Aufschrift Make Rapid great again trage, gefällt dem Sturmanhänger gegenüber nur bedingt. Ich nehme es gleich vorweg: wir sind keine Freunde geworden. Und das obwohl ich ihm einen Punkt von Herzen vergönnt hätte, wenn sie sich halt einmal bemühen. Wir bleiben uneinsichtig.

Nach flüssiger Stärkung also rauf auf den Fölzstein.  Dou gehst oafoch duach die Latschn durch, geben uns die Grazer mit auf den Weg. Und Hinweise für das Geröll. Was wir erst nach dem Rückkunft erfahren werden: die beiden lustigen waren selber noch nie oben.

Es war schwierig, sehr schwierig. Stürmisch, steil und in der Hütte gäb es Schweinsbraten. Es war ein intensiver Aufstieg, totes Tierfell und Hinweise auf verunfallte Wanderer einerseits, Ausblick und Grenzverschiebung andererseits. Stellenweise mussten wir auf allen Vieren schwierige Passagen überwinden, der Gedanke an den Abstieg macht mich bang. Aber jetzt aufgeben? So knapp vor oben? No way.

Zwar sagt der Plan, dass es noch 200 m Luftlinie sind, aber ich sehe nur Berg vor und über mir. Wie soll sich das ausgehen? Plötzlich oben, der Gipfel ist kein Gipfel sondern eine flache, bemooste Mondlandschaft. Das Gipfelkreuz! Mein erstes. Als ich wieder ruhig atmen kann, macht sich Ruhe breit, Friede, Erleichterung. Glückshormone gone wild.

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Der Abstieg gestaltet sich dann doch einfacher als befürchtet. Beseelt, hungrig und müde wieder zur Grasserhütte. Wo wir von den Grazern als die Weana Baaadse empfangen werden. Auch den dritten Hinweis darauf, dass eigentlich nur einer von uns dreien aus Wien kommt, will er nicht verstehen. Gut, er glaubt ja auch heute noch, dass Karl Merkatz ein Deutscher ist.

Gestärkt geht es nun zum Ausgangspunkt der Wanderung zurück, die im Kurpark bei Kaffee, Eis, Krokant, Schoko, Florentiner, Nussknacker, Chips und Bier einen würdigen Abschluss findet. Am nächsten Tag wird uns die Hausherrin danach fragen, ob wir tatsächlich auf dem Fölzstein waren und mit einem wortlosen Nicken ihre Anerkennung ausdrücken. Hochschwab, be afraid!

4 Gedanken zu „Fölzstein“

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