Jetzt

Manchmal treffe ich ihn im Bus. Wenn ich es ganz früh aus den Federn schaffe, noch vor der Sonne. Dann seh ich ihn schon aus der Entfernung an der Gehsteigkante warten. Tirolerhut, graue Jacke, jägergrüne Hose, Aktentasche, Schnauzbart, Wohlstandsbauch. Pensionistencamouflage. Sein Gang ist unauffällig an die Umwelt angepasst, ruhig, geduckt, manchmal am Stock. Reden will er in der Früh nicht so gerne. Er ist gesellig, darauf vergisst er gern, während er auf die Pension wartet.

In die Arbeit fährt er so früh, weil er früh wieder heim mag. In sein Reihenhaus, zu seiner Katze. Und zu seiner Frau. Urlaube mache er nicht mehr. Wohin solle er denn? In der Pension dann wieder. Bis dahin bleibt sein Golf Country garagengepflegt. Wenn ich ihm am Weg nach Hause begegne, ist er gesprächiger, weil endlich die Arbeit erledigt ist. Wie es geht? Gut. Der Pension einen Tag näher. Vor hat er am Nachmittag nichts mehr. Was soll man schon groß machen? Außerdem müsse er morgen ja früh raus. Die Arbeit.

Dass er phasenweise am Stock geht, hat einen Grund, weiß er jetzt. Ein Gehirntumor ist dafür verantwortlich. Inoperabel. Wenn unbehandelt noch ein Jahr, behandelt wird sich die Pensionierung gerade nicht mehr ausgehen. Wenn das Schicksal die Ironiekarte spielt, ist es eine richtige Sau.

Was auch immer im großen Buch steht, ich weiß es nicht. Ich werde es rausfinden. Bis dahin dreh ich an der einen oder anderen Stellschraube und erinnere mich immer wieder dran: Leben passiert jetzt, jetzt, jetzt, jetzt, …

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