still welcome: ein wenig Normalität

Seine Augen tränen doch er grinst mir zu. Er steht in dichtem Rauch, wendet sich wieder den Kohlen zu und bringt sie mit behendem Fächern zum Glühen. “Ich mache mit meine Familie jede Woche eine Reise und kochen”. Nach etwas hin-und-her weiß ich: er hat früher jeden Freitag Picknick mit seiner Familie gemacht. Heute ist ausnahmsweise Montag.

Die Stimmung ist locker, es wird gescherzt. Mausezahn ist aufgedreht. Sie plappert drauf los und erzählt Ayoub von einem Fußballcamp. Dass sie nicht verstanden wird, irritiert sie. “Das geht mir auch so”, beruhige ich sie. Sie gewöhnt sich dran.

Die Sprachbarriere ist immer noch eine solche. Auch, wenn sie zunehmend einfacher überbrückbar wird. Digitale Kommunikation ist von Missverständnissen geprägt, unterm Strich reicht es aber um Freizeit und privates Sprachtraining zu organisieren.

Mittlerweile sind wir auf einen kleinen Haufen zusammengeschrumpft. Der im September vom Arbeitgeber organisierte Sprachkurs ist ausgelaufen. Offiziell weil die Teilnehmer die Unterkunft gewechselt haben und die Anreise nicht mehr zumutbar sei. Liesing, du hast ein Problem.

Ich will Aziz am Grill ablösen, vergeblich. Er fächert beseelt, die Spieße brutzeln, “Keine Problem!”, strahlt er.

“Ist Mausezahn deine einzige Tochter?”, fragt Ali. Als ich ihn nach seiner Familie frage, verlässt Hasan, der neben ihm sitzt, unauffällig den Tisch und geht mit Mausezahn Fußball spielen: sein Bruder kam vorige Woche bei einem Bombenanschlag ums Leben. Bilder brennender Straßenzüge kenn ich aus den Nachrichten, sie tun mir nichts mehr. Wenn sie per Whatsapp mit persönlichem Bezug daherkommen, fetzen sie noch ganz ordenlich.

Einerseits ist es mir zuwider zu verkaufen, dass der Umgang mit Flüchtlingen reibungslos verläuft, dass sie eine Bereicherung für mich sind, dass sie mit Mausezahn blödeln, dass sie sich vollkommen unproblematisch meiner Frau gegenüber verhalten. Es ist mir zuwider, weil es einer Beweisführung gleichkommt, einem “Seht her, das sind keine Unmenschen”. Und trotzdem tu ich es. Weil ich will, dass gesehen wird, dass es sich um Vorurteile handelt. Weil ich gegen die Windmühlen der medialen Berichterstattung anrenne. Was mir gleichzeitig völlig sinnfrei erscheint.

Vielleicht ist es die Freude über die kleinen Siege über eigene Vorurteile. Bin ich anfangs  mit mulmigem Gefühl in den Deutschunterricht gegangen? Ja. Hab ich schon einmal darüber nachgedacht, ob ich Terrorismus unterstütze, indem ich Integration vorantreibe? Ja, hab ich. Es erscheint mir absurder denn je. Das medial verbreitete Bild lässt sich nicht mit meiner realen Wahrnehmung in Übereinstimmung bringen. Kognitive Dissonanz. Vielleicht ist es die, die mich dazu bringt, darüber zu schreiben.

Vielleicht irre ich mich ja, es fühlt sich nicht so an.

23589286076_187143afd4_k

Schreibe einen Kommentar

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.